Stellen Sie sich vor, es ist ein ganz normaler Arbeitstag: Auf dem Weg ins Büro rutschen Sie auf dem glatten Gehweg aus und verletzen sich. Oder Sie geraten mit dem Fahrrad in einen Verkehrsunfall. Was viele nicht wissen: Solche Unfälle können als sogenannte Wegeunfälle gelten und sind unter bestimmten Bedingungen durch die gesetzliche Unfallversicherung abgesichert.
Doch was genau zählt eigentlich als Wegeunfall, welche Regelungen gibt es und wie sollten sich Arbeitgeber und Betroffene im Ernstfall verhalten? In diesem Blogbeitrag haben wir das Thema aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und für Sie alles Wissenswerte zusammengefasst.
Was ist ein Wegeunfall?
Ein Wegeunfall beschreibt einen Unfall, der auf dem direkten Weg zwischen Ihrem Zuhause und Ihrer Arbeitsstelle passiert. Solche Unfälle fallen unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wodurch Betroffene auf Unterstützung und Leistungen zählen können, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.
Der Versicherungsschutz greift in aller Regel für Unfälle, die auf dem direkten Arbeitsweg passiert sind – also auf der Strecke, die Sie zwischen Ihrem Wohnort und Ihrer Arbeitsstätte zurücklegen. Dabei spielt es keine Rolle, ob Sie zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem Auto unterwegs sind. Auch die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel fällt darunter.
Besondere Situationen, in denen der Versicherungsschutz bestehen bleibt:
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- Betreuungswege: Müssen Sie Ihr Kind auf dem Weg zur Arbeit in die Kita oder Schule bringen, bleibt der Schutz bestehen.
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- Fahrgemeinschaften: Abweichungen vom direkten Weg, um andere Personen abzuholen oder abzusetzen, sind ebenfalls versichert.
- Alternative Routen: Auch Umwege, etwa wegen Straßensperrungen oder Zeitersparnissen, können unter den Schutz fallen, solange sie nicht zu erheblichen Abweichungen führen.
Arbeitsunfall vs. Wegeunfall: was ist der Unterschied?
Arbeitsunfälle und Wegeunfälle sind beide durch die gesetzliche Unfallversicherung abgedeckt, unterscheiden sich jedoch in ihrer Definition und den jeweiligen Voraussetzungen. Während ein Arbeitsunfall direkt mit der beruflichen Tätigkeit zusammenhängt, bezieht sich der Wegeunfall auf den Weg zur oder von der Arbeit.
Beispiele für Arbeitsunfälle
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Beispiele für Wegeunfälle |
Ein Sturz im Büro oder auf dem Firmengelände |
Ein Autounfall auf dem Weg zur Arbeit. |
Verletzungen durch Arbeitsgeräte oder Maschinen |
Ein Fahrradunfall während des Arbeitsweges. |
Unfälle während eines dienstlichen Termins oder einer Besprechung außerhalb des Büros | Ein Sturz auf einem vereisten Gehweg auf dem Heimweg. |
Der wesentliche Unterschied liegt im Ort und der Situation des Unfalls: Arbeitsunfälle passieren während der beruflichen Tätigkeit oder auf dem Betriebsgelände, während Wegeunfälle sich auf den Arbeitsweg beschränken.
Wann ist es kein Wegeunfall?
Nicht alle Wege sind automatisch abgedeckt. Unterbrechungen aus rein privaten Gründen, wie der Einkauf im Supermarkt oder ein Besuch bei Freunden, führen dazu, dass der Schutz temporär erlischt. Erst wenn Sie die direkte Route zur Arbeit wieder aufnehmen, tritt der Versicherungsschutz erneut in Kraft. Ebenso endet der Schutz im häuslichen Bereich: Stürze im Treppenhaus oder auf dem Weg zur Garage gelten nicht als Wegeunfall.
Durch die gesetzliche Regelung können Sie sich darauf verlassen, dass der Arbeitsweg in den meisten Fällen abgesichert ist – unabhängig davon, ob Sie den Bus, das Fahrrad oder das Auto nutzen. Es lohnt sich jedoch, die genauen Regelungen im Blick zu behalten, um im Ernstfall vorbereitet zu sein.
Ein Beispiel Sie verlassen morgens Ihre Wohnung, um zur Arbeit zu fahren. Auf halber Strecke entscheiden Sie sich, noch schnell etwas bei einem Freund vorbeizubringen, der in der Nähe wohnt. Während Sie die Straße überqueren, um zur Wohnung des Freundes zu gelangen, stürzen Sie und verletzen sich. Dieser Unfall wird nicht als Wegeunfall anerkannt, da der direkte Arbeitsweg für eine private Erledigung unterbrochen wurde. Erst nach dem Verlassen der Bäckerei und der Fortsetzung Ihres Weges zur Arbeit wäre der Versicherungsschutz wieder aktiv. |
Das richtige Verhalten nach einem Wegeunfall
Passiert ein Wegeunfall, dann ist wichtig, die richtigen Schritte einzuleiten und alle Vorgaben einzuhalten. Nur dann können später alle Ansprüche geltend gemacht werden. Um im Ernstfall die richtigen Schritte einzuleiten, sollten Sie sich rechtzeitig mit den gesetzlichen Vorgaben und die eigenen Pflichten auseinandersetzen.
Das sind die wichtigsten Pflichten des Arbeitgebers
Als Arbeitgeber tragen Sie eine zentrale Verantwortung, wenn es um die Meldung eines Wegeunfalls geht. Der Unfall muss von Ihrer Seite aus an die zuständige Berufsgenossenschaft gemeldet werden, die den Vorfall prüft und dann entscheidet, ob es sich um einen versicherten Wegeunfall handelt oder nicht.
Das sind die Fristen und Meldeverfahren:
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- Normale Wegeunfälle: Diese müssen spätestens drei Tage nach dem Unfall gemeldet werden, wenn eine Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Tagen vorliegt.
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- Tödliche Unfälle: Bei einem tragischen Todesfall sind Sie dazu verpflichtet, den Unfall sofort der Berufsgenossenschaft und der obersten Landesbehörde zu melden.
Für die Meldung wird in der Regel ein spezielles Formular verwendet, das bei der Berufsgenossenschaft erhältlich ist. Dieses Formular enthält alle notwendigen Angaben zum Unfallhergang, zu den Verletzungen und den Beteiligten.
Diese wichtigen Angaben müssen Sie für die Unfallmeldung machen:
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- Mitgliedsnummer Ihres Unternehmens
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- Persönliche Daten des Arbeitnehmers (Name, Anschrift, Krankenkasse)
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- Zeitpunkt und Ort des Unfalls sowie der genaue Hergang
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- Beschreibung der Verletzungen und betroffene Körperregionen
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- Namen und Kontaktdaten von Zeugen
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- Informationen zum behandelnden Durchgangsarzt
Als Arbeitgeber müssen Sie außerdem das sogenannte Regelentgelt berechnen und an den Versicherungsträger übermitteln. Diese Berechnung ist notwendig, wenn der Arbeitnehmer länger als sechs Wochen arbeitsunfähig ist und Verletztengeld beansprucht. Besonders bei geringfügig Beschäftigten, wie Minijobbern, sollten Sie schon vorab immer gewährleisten, dass diese sowohl bei der Unfallversicherung als auch bei der Minijob-Zentrale korrekt gemeldet sind.
Was ist das Regelentgelt? Das Regelentgelt ist das durchschnittliche Bruttoarbeitsentgelt, das ein Arbeitnehmer in den letzten zwölf Monaten vor einem Arbeits- oder Wegeunfall erhalten hat. Es dient als Grundlage für die Berechnung von Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung, wie dem Verletztengeld, das in der Regel 80 % des Regelentgelts beträgt. Neben dem Grundgehalt werden auch Zuschläge und Sonderzahlungen berücksichtigt. Arbeitgeber müssen das Regelentgelt berechnen, wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als sechs Wochen andauert. |
So verhalten sich Beschäftigte bei einem Wegeunfall richtig
Wenn Sie in einen Wegeunfall verwickelt werden, dann sind im Anschluss folgende Maßnahmen und Schritte nötig, damit der Versicherungsschutz greift. Ihre schnelle ärztliche Versorgung hat dabei natürlich immer Priorität.
- Ärztliche Versorgung: Lassen Sie Ihre Verletzungen zeitnah ärztlich untersuchen, auch wenn sie auf den ersten Blick harmlos erscheinen. Dafür müssen Sie zwingend einen Durchgangsarzt aufsuchen.
- Unfall dokumentieren: Halten Sie den Unfallhergang so genau wie möglich fest. Notieren Sie Zeit, Ort und beteiligte Personen. Falls Zeugen anwesend sind, nehmen Sie deren Kontaktdaten auf.
- Unfallmeldung beim Arbeitgeber: Informieren Sie Ihren Arbeitgeber unverzüglich über den Unfall, damit dieser die Meldung an die Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse vornehmen kann.
- Nachweise sammeln: Bewahren Sie alle relevanten Unterlagen auf, wie ärztliche Berichte oder Quittungen für medizinische Behandlungen. Diese können im weiteren Verlauf wichtig sein.
Die freie Arztwahl ist nach einem Wegeunfall nicht gewährleistet
Im November 2020 ist eine neue Heilverfahrensordnung in Kraft getreten, nach der sämtliche Verletzungen, die durch einen Wegeunfall entstanden sind, von einem Durchgangsarzt (D-Arzt) behandelt und dokumentiert werden müssen. Diese Ärzte sind speziell für die Behandlung und Begutachtung von Arbeits- und Wegeunfällen zugelassen. Ihre Praxen sind auch entsprechend für die Erstversorgung ausgestattet.
Wie lange hat man Zeit, zum Durchgangsarzt zu gehen?
Nach einem Wegeunfall sollten Sie so schnell wie möglich einen Durchgangsarzt aufsuchen. Zwar gibt es keine festgelegte Frist, aber der Besuch sollte in der Regel noch am Unfalltag oder spätestens am darauffolgenden Werktag erfolgen. Je früher der Durchgangsarzt den Unfall und die Verletzungen dokumentiert, desto einfacher ist die Bearbeitung durch die Berufsgenossenschaft.
Wann sind Umwege erlaubt?
Umwege auf dem Weg zur Arbeit oder auf dem Heimweg sind grundsätzlich nicht versichert – mit den bereits oben genannten Ausnahmen: Das Bringen oder Abholen von Kindern zur Betreuungseinrichtung, das Abholen eines Kollegen im Rahmen einer Fahrgemeinschaft oder wenn Sie aufgrund eines Unfalls oder einer Baustelle umgeleitet werden. Private Erledigungen, wie Einkäufe oder Besuche, unterbrechen den Versicherungsschutz. Ein Unfall während solcher Abweichungen gilt nicht als Wegeunfall.
Ein Beispiel aus der Rechtsprechung
In der Praxis ist es oft allerdings gar nicht so eindeutig, ob es sich um einen Wegeunfall handelt oder nicht. Dazu ein Fall, der vor dem Landessozialgericht Niedersachen-Bremen verhandelt wurde:
Ein Auszubildender verunglückte mit dem Motorrad, nachdem er einen erheblichen Umweg nahm, um einen Stau zu umfahren. Der direkte Heimweg betrug noch 520 Meter; der Umweg verlängerte die Strecke auf vier Kilometer. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen entschied, dass dieser Umweg nicht mehr vom Versicherungsschutz umfasst war, da er unverhältnismäßig lang und nicht zwingend notwendig war. (AZ. L 14 U 127/19)
Versicherungsschutz bei Wegeunfällen
Die gesetzliche Unfallversicherung bietet im Falle eines Wegeunfalls eine wichtige Absicherung. Sie greift, sobald ein Unfall auf dem direkten Weg zur oder von der Arbeit passiert und bietet Unterstützung bei der Kostenübernahme für die medizinische Versorgung, der Rehabilitation und weiteren Leistungen. Doch welche Hilfen können Sie konkret erwarten?
Das sind die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung
Die gesetzliche Unfallversicherung hilft den Betroffenen, die Folgen eines Wegeunfalls möglichst schnell zu bewältigen. Ihr Ziel ist es, die Gesundheit und Arbeitsfähigkeit schnellstmöglich wiederherzustellen. Dafür bietet sie die folgenden Leistungen an:
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- Akute medizinische Versorgung: Erste Hilfe, Notfallbehandlungen und ärztliche Untersuchungen direkt nach dem Unfall.
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- Rehabilitation: Maßnahmen, um körperliche oder psychische Einschränkungen zu reduzieren, z. B. Physiotherapie, Ergotherapie oder psychosoziale Unterstützung.
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- Verletztengeld: Finanzielle Absicherung während der Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf der Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber.
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- Umschulungen und Weiterbildungen: Unterstützung bei der beruflichen Wiedereingliederung, falls der ursprüngliche Beruf nicht mehr ausgeübt werden kann.
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- Langfristige Hilfen: Rentenleistungen oder Pflegehilfen bei dauerhaften Beeinträchtigungen.
Mit diesen Leistungen wird sowohl die berufliche als auch die soziale Integration gerade nach schweren Wegeunfällen gefördert.
Was ist versichert?
Die gesetzliche Unfallversicherung schützt ausschließlich Personen und deren Gesundheit. Sachschäden, die bei einem Wegeunfall entstehen – etwa an Fahrzeugen, Fahrrädern oder persönlichem Eigentum – sind dagegen nicht abgedeckt.
Versicherte Leistungen für Personen:
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- Verletzungen, die direkt durch den Unfall entstehen, wie Brüche, Prellungen oder Schnittwunden.
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- Langfristige körperliche oder psychische Folgen, die auf den Unfall zurückzuführen sind.
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- Medizinische Versorgung, Rehabilitation und gegebenenfalls Verletztengeld.
Nicht versichert sind beispielsweise Beschädigungen an Fahrzeugen, Kleidung oder anderen Gegenständen sowie Reparatur- oder Wiederbeschaffungskosten, die aufgrund eines Unfalls anfallen. Für Sachschäden müssen Sie in der Regel Ihre private Haftpflichtversicherung oder die Kaskoversicherung des Fahrzeugs in Anspruch nehmen.
Besonderheiten bei Homeoffice und Telearbeit
Die Abgrenzung zwischen Arbeitszeit und privatem Bereich ist im Homeoffice besonders relevant, da sie den Versicherungsschutz beeinflusst. Versichert sind nur Tätigkeiten und Wege, die im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit stehen. Beispiele:
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- Versicherte Tätigkeiten: Telefonate, Arbeit am Computer, und Wege, die direkt der Erfüllung der beruflichen Aufgaben dienen.
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- Nicht versicherte Tätigkeiten: Private Erledigungen wie das Kochen eines Mittagessens für die Familie oder das Holen privater Gegenstände aus einem anderen Raum.
Wichtig ist, dass Sie Ihre Arbeitszeit und Arbeitswege klar dokumentieren, insbesondere wenn es zu einem Unfall kommt. Bei Unsicherheiten entscheidet letztlich die Berufsgenossenschaft oder das Gericht, ob ein Unfall als Wegeunfall im Homeoffice anerkannt wird.
Wie lassen sich Wegeunfälle bestmöglich vermeiden?
Wegeunfälle sind oft vermeidbar, wenn Mitarbeitende ausreichend sensibilisiert und informiert werden. Genau hier setzen professionelle Unterweisungen an: Sie vermitteln praxisnahes Wissen, um die Risiken auf dem Arbeitsweg zu erkennen und vielleicht dadurch den ein- oder anderen Unfall zu vermeiden. Professionelle Fachkräfte für Arbeitssicherheit sind darauf spezialisiert, potenzielle Gefahrenquellen zu identifizieren und entsprechend zu beseitigen. Im Rahmen einer Unterweisung können sie beispielsweise auch auf Gefahrenquellen hinweisen, die auf dem Weg zur Arbeit entstehen.