Psychische Belastungen werden in der Arbeitswelt noch immer stark tabuisiert. Hier ist noch viel Sensibilisierungsarbeit in den Unternehmen notwendig, um der psychischen Gefährdungsbeurteilung (oder kurz GBU Psyche) den Stellenwert einzuräumen, den sie verdient: Mithilfe dieser Gefährdungsbeurteilung können ganzheitliche Präventionsmaßnahmen im betrieblichen Alltag implementiert werden, um negative Belastungsfaktoren zu reduzieren und die Leistungsfähigkeit und Motivation in Unternehmen langfristig zu steigern.
Erfahren Sie jetzt, warum es die psychische Gefährdungsbeurteilung überhaupt gibt und wie Sie sie in Ihrem Betrieb erfolgreich durchführen können.
Das Wichtigste in Kürze: Die positive Wirkung der psychischen Gefährdungsbeurteilung
Vorteile für Mitarbeiter | Vorteile für Unternehmen |
Schutz vor psychischen Erkrankungen | Verringerung von Krankheitstagen und Fehlzeiten |
Schutz vor psychosomatischen körperlichen Erkrankungen |
Reduzierung von Störungen im Betriebsablauf |
Schutz vor negativen Auswirkungen im persönlichen und beruflichen Kontext | Verbesserung der Zusammenarbeit |
Kompetenzentwicklung | Optimierung des Betriebsklimas |
Persönliches Wachstum | Steigerung der Motivation |
Weiterentwicklung und Gesundheitsförderung | Erhöhung der Leistungsfähigkeit |
Die psychische Gefährdungsbeurteilung im Arbeitsschutzgesetz
Die Beurteilung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz ist hierzulande noch relativ jung. Erst seit 2013 ist die Gefährdungsbeurteilung zur Ermittlung und Bewertung psychischer Belastungsfaktoren Teil des Arbeitsschutzgesetzes. Konkret verankert ist die psychische Gefährdungsbeurteilung in den Paragrafen § 4 ArbSchG Abs. 1 („Allgemeine Grundsätze zur physischen und psychischen Gesundheit“) und § 5 ArbSchG Abs. 3 Nr. 6 („psychische Belastungen bei der Arbeit“).
Konkretisiert werden die Vorgaben im Arbeitsschutzgesetz von der Unfallverhütungsvorschrift DGUV-Vorschrift 1 (Grundsätze der Prävention) und der gleichlautenden DGUV-Regel 1001-001 der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV).
Weitere rechtliche Grundlagen für die Gefährdungsbeurteilung psychische Belastung
Neben dem Arbeitsschutzgesetz finden sich explizite Forderungen dazu in der Arbeitsstättenverordnung (§ 3 ArbStättV), der Betriebssicherheitsverordnung (§ 3 BetrSichV) sowie in der Biostoffverordnung (§ 4 BioStoffV) und der Gefahrstoffverordnung (§ 6 GefStoffV).
Diese Verordnungen werden durch verschiedene Technische Regeln erläutert, die detaillierte Anforderungen und Empfehlungen zur Einbeziehung psychischer Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung enthalten. Dazu gehören beispielsweise die Technische Regel für Arbeitsstätten ASR V3 oder die Technische Regel für Betriebssicherheit TRBS 1111.
Darüber hinaus spielt die Berücksichtigung psychischer Belastungen auch in der arbeitsmedizinischen Vorsorge eine wichtige Rolle, wie in den Arbeitsmedizinischen Regeln AMR 3.1 und AMR 3.2 festgelegt wird.
Diese umfassenden rechtlichen Vorgaben unterstreichen die Bedeutung, die der Gesetzgeber dem Schutz der psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz beimisst.
Warum gibt es die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen überhaupt?
Seit mittlerweile mehr als 20 Jahren steigt die Zahl der psychischen Erkrankung in Deutschland stetig an. Das zeigt auch der jüngste DAK-Psychoreport 2024:
Die Arbeitsunfähigkeitstage (AU-Tage) aufgrund psychischer Erkrankungen sind zwischen 2013 und 2023 um 52 Prozent gestiegen. Besonders betroffen sind soziale Berufe und Pflegedienstleister. Die Anzahl der Krankschreibungen stieg im Vergleich zum Jahr 2023 um 21 Prozent, wobei jüngere Altersgruppen den stärksten Zuwachs verzeichneten.
Depressionen bleiben mit 122 AU-Tagen je 100 Versicherte der häufigste Grund für psychisch bedingte Ausfälle. Belastungsreaktionen und Anpassungsstörungen zeigten mit 29 Prozent den stärksten Anstieg. |
Diese Entwicklung unterstreicht die dringende Notwendigkeit verstärkter Präventionsmaßnahmen und gezielter Unterstützung für Arbeitnehmer, besonders in stark belasteten Branchen. Sie verdeutlicht auch, warum der Gesetzgeber 2013 aktiv wurde und seitdem Unternehmen verpflichtet, neben physischen auch psychische Belastungen am Arbeitsplatz ernst zu nehmen und zu bewerten.
Diese gesetzliche Vorgaben zielen darauf ab, die psychische Gesundheit der Beschäftigten besser zu schützen und den besorgniserregenden Trend steigender psychischer Erkrankungen im Arbeitskontext umzukehren und dementsprechende Schutzmaßnahmen zu ergreifen (siehe dazu auch § 3 ArbSchG „Grundpflichten des Arbeitgebers“).
Warum ist die psychische Gefährdungsbeurteilung in vielen Unternehmen trotzdem noch unbekannt?
Im Arbeitsschutz ist die psychische Gefährdungsbeurteilung wie gesagt ein relativ neues Instrument. Das erklärt aber nur unzureichend, warum viele Unternehmen die GBU Psyche nicht umsetzen oder mitunter auch gar nicht kennen. In der Praxis ist es so, dass hier besonders kleine und mittlere Unternehmen (KMU) die größten Defizite aufweisen. Mehr darüber erfahren Sie in unserem Blogbeitrag Arbeitssicherheit Kleinbetrieb.
Die Komplexität des Themas führt dazu, dass Unternehmer und Personalverantwortliche häufig mit Fragen zur konkreten Durchführung, Umsetzung und den notwendigen Voraussetzungen konfrontiert sind. Diese Unsicherheit spiegelt die Herausforderungen wider, die mit der Integration psychischer Aspekte in bestehende Arbeitsschutzkonzepte einhergehen.
Durchführung der Psychischen Gefährdungsbeurteilung
Die Kerninhalte einer psychischen Gefährdungsbeurteilung umfassen verschiedene Merkmalsbereiche, die ein ganzheitliches Bild der Arbeitssituation ermöglichen sollen.
Dazu gehören der Arbeitsinhalt bzw. die Arbeitsaufgabe, die Arbeitsorganisation, soziale Beziehungen am Arbeitsplatz, die Arbeitsumgebung, neue Arbeitsformen sowie eine Gesamteinschätzung der Arbeitssituation.
Der Ablauf bei der Durchführung der GBU Psyche gliedert sich in 7 Schritte:
- Festlegung der Tätigkeiten
- Ermittlung der Belastungen
- Beurteilung der Belastungen
- Erarbeitung von Schutzmaßnahmen
- Durchführung der Maßnahmen
- Überprüfung der Wirksamkeit
- Anpassung der Maßnahmen
Bei der Durchführung der GBU Psyche ist es wichtig, die Handlungsempfehlungen der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) zu berücksichtigen. Diese bieten eine wertvolle Orientierung für Unternehmen, um den Prozess strukturiert und effektiv zu gestalten. Unter nachfolgendem Link können Sie die GDA-Handlungsempfehlungen downloaden.
Verantwortung und Durchführung der GBU Psyche
Die rechtliche Verantwortung für die psychische Gefährdungsbeurteilung liegt immer beim Unternehmen selbst, unabhängig von der Unternehmensgröße. Dies gilt bereits ab dem ersten Mitarbeiter. Die GBU Psyche kann auf zwei Arten durchgeführt werden:
- Vom Unternehmen selbst
- Von fachkundigen Personen, die dafür schriftlich beauftragt werden, wie beispielsweise eine Fachkraft für Arbeitssicherheit
Planung und Durchführung der psychischen Gefährdungsbeurteilung
Als wichtigstes Instrument des betrieblichen Gesundheitsschutzes, sollte sie mit Sorgfalt und Sensibilität umgesetzt werden. Obwohl die GBU Psyche in Verbindung mit der physischen Beurteilung durchgeführt werden kann, empfiehlt sich aufgrund der Sensibilität des Themas eine separate Erhebung der psychischen Belastungen.
Eine gründliche Vorbereitung ist entscheidend für den Erfolg der Gefährdungsbeurteilung. Idealerweise wird der gesamte Prozess von einer Steuergruppe geplant, die sich aus verschiedenen Experten (wie Geschäftsführung, Betriebsrat, Betriebsarzt und Sicherheitsfachkraft) zusammensetzt. Diese Gruppe kann sicherstellen, dass alle relevanten Aspekte berücksichtigt und die Methoden angemessen ausgewählt werden.
Transparenz und Kommunikation spielen eine weitere Schlüsselrolle bei der Akzeptanz unter den Mitarbeitern. Deshalb sollten alle Beschäftigten frühzeitig und umfassend über die bevorstehende psychische Gefährdungsbeurteilung informiert werden. Eine offene und klare Kommunikation kann dazu beitragen, eventuelle Bedenken auszuräumen und die Bereitschaft zur Teilnahme zu erhöhen.
Herausforderungen bei der Durchführung der Psychischen Gefährdungsbeurteilung
Trotz der vielfältigen gesetzlichen Vorgaben besteht noch ein erheblicher Bedarf an Aufklärung, Schulung und praktischer Unterstützung besteht, um die psychische Gefährdungsbeurteilung flächendeckend und effektiv in der Arbeitswelt zu etablieren, was u. a. häufig daran liegt:
Mangelnde Akzeptanz und Offenheit
Eine der größten Hürden besteht darin, das Thema mentale Gesundheit offen anzugehen, anstatt es zu ignorieren. Es ist entscheidend, dass sowohl Mitarbeitende als auch Führungskräfte sich auf den Prozess einlassen. Insbesondere Führungskräfte spielen eine Schlüsselrolle, indem sie mit gutem Beispiel vorangehen und eine klare Position zum Thema psychische Gesundheit beziehen.
Vertraulichkeit und Professionalität
Die Wahrung der Anonymität und ein professioneller Umgang mit den erhobenen Daten sind weitere kritische Aspekte. Der Einsatz externer Fachkräfte für Arbeitssicherheit, die mit den Prozessen und gesetzlichen Rahmenbedingungen vertraut sind, kann helfen, das Vertrauen der Mitarbeitenden zu gewinnen und einen fachgerechten Umgang mit sensiblen Informationen sicherzustellen.
Häufige Hindernisse von Unternehmen bei der psychischen Gefährdungsbeurteilung:
- Mangelndes Wissen über die korrekte Durchführung
- Gefühl der Überforderung aufgrund der vermeintlichen Komplexität
- Befürchtungen bezüglich einer Überlastung der vorhandenen Kapazitäten
- Berührungsängste im Umgang mit psychischer Gesundheit
- Finanzielle Bedenken hinsichtlich der Umsetzung
Es zeigt sich jedoch immer wieder, dass viele dieser Bedenken durch gezielte Aufklärung und Beratung ausgeräumt werden können, indem Arbeitsschutzexperten ins Boot geholt werden. Eine Maßnahme, die auch den relativ hohen Zeitaufwand für die Durchführung der GBU Psyche deutlich verringert.
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